Sarrazin und die SPD

3 Sept

Sarrazin ist SPD-Mitglied und will es nach kürzlich eigenem Bekunden bis an sein Lebensende bleiben. Nun muss man für ihn nicht fürchten, dass die Partei sein Ein und Alles ist, und ein Leben nach einem Ausschluss für ihn keinen Sinn mehr hätte, obwohl er zugegebenermaßen auch schon zu Zeiten, als er und die SPD noch mitregieren durften, immer wieder sein Bestes gab, das trotzig erkämpfte Negativimage seiner Partei zu befestigen. In Erinnerung blieben die unsäglichen,  ausgrenzenden Diffamierungen einer „gefühlten“ sozialschmarotzenen Unterschicht, der er selbstgestrickte Pullover gegen zu hohe Heizkosten empfahl. Die Kritik des sozialen Gewissens aus fast allen politischen Lagern bekümmerte ihn wenig, konnte er doch hoffen, dass seine Ausfälle „ganz oben“ wohlwollend geduldet wurden. Nach der drastisch verlorenen Bundestagswahl und dem Marsch in die ungeliebte Opposition drehte sich langsam der Wind. Ob er es nicht merken wollte? Er hatte noch zu viel auf Lager, arbeitete unverdrossen an seinem Buch, und brachte es schließlich mit perfekter Medienpräsenz vor die Öffentlichkeit. Das Erschreckende ist nun nicht, dass da einer ist, der moderne rassistische Thesen vertritt und verbreitet und sich, auch international, in die erste Reihe brandstiftender Demagogen stellt. Es ist das Echo! Allenthalben heißt es: Der Mann hat recht! Er sagt doch nur was alle denken! Und das sagt mehr über unsere Gesellschaft aus, als wir uns wünschen. Das allerdings könnte Sarrazins Verdienst sein. Ein brandgefährliches Verdienst, wo doch jeder, der eine öffentliche Rolle zu spielen in der Lage ist, wissen müsste, dass in Krisenzeiten Blitzableiter für den Volkszorn gesucht werden, und dass es regelmäßig die Schwächsten der Gesellschaft trifft, die Minderheiten, die Randgruppen, die Außenseiter und „schwarzen Schafe“. Und – das Echo verweist auf eine Politik, die zur Mitverursacherin der Weltfinanzkrise wurde, und deren Krisenmanagement zwar die Banken vorerst rettet, aber um den Preis einer weiteren Vertiefung gesellschaftlicher  Spaltungen.

Diesmal hat Sarrazin in die rassistische Trickkiste gegriffen und damit den Bogen überspannt. Die „Causa Sarrazin“ wurde für die politische Klasse zu eklatant. Die Kanzlerin reagierte schnell. Keiner weiß genau, was sie dazu bewog, sich diesmal gegen ein Aussitzen zu entscheiden – waren es ihre seismographischen Fähigkeiten, kluge Beraterinnen, oder war es das Zaudern des amtierenden Oppositionsführers? Jedenfalls – sie  gab den Takt vor, der Bundespräsident gab den entscheidenden Tipp und die Bundesbank zog die unvermeidlichen Konsequenzen.

Und Sarrazins SPD? – Die Parteispitze will nun den Ausschluss. Aus unerfindlichen Gründen will Gabriel aber „keinen kurzen Prozess“, wie z. B. in Diskussionen der Berliner Parteibasis gefordert. Sollen sich erst beschämende Solidaritätskomitees für Sarrazin und für „Meinungsfreiheit“ in der SPD gründen? Soll am nun wirklich falschen Objekt demonstriert werden, wie demokratisch die Partei ist? Meinungsfreiheit muss auch in einer Partei ihre Grenze finden, dort, wo sie zur Verletzung ihrer Grundwerte missbraucht wird. Das sozialdemokratische Talent zum Zaudern zur Unzeit könnte für die Partei zum Fiasko werden. Nach verpassten Gelegenheiten muss Sarrazins Mitgliedschaft nun so schnell wie möglich vom Tisch!

Eine Antwort to “Sarrazin und die SPD”

  1. Manfred Peters 5. September 2010 um 14:45 #

    Genie, Wahnsinniger oder wohlfeile Ablenkung von anderen sozialen Grausamkeiten der Regierung Merkel ?

    Jeden Tag, nein fast jede Stunde, ein neuer Höhepunkt in der Sarrazin-Diskussion.
    Gerade noch die Aufforderung Sarrazins, der Bundespräsident möge sich gefälligst seine Sicht der Dinge anhören. Er wäre nicht Sarrazin, wenn zur Grundbedingung überhaupt zum Bundespräsidenten zu kommen, demnächst die vorherigen Akzeptanz seiner Thesen gemacht würde.
    Wie soll man da einen aktuellen Kommentar schreiben?

    Das Genie

    Mit 46 Nebentätigkeiten war Sarrazin als Finanzminister in Berlin im Juni 2008 das Senatsmitglied mit den meisten Nebentätigkeiten. Nach eigenen Aussagen hat er 2008 so ganz nebenbei mit dem Schreibens seines jetzt vorgestellten Elaborats begonnen. Seine Vorschläge zum Kochbuch für Hartz IV-Empfänger stammen auch noch aus seiner Zeit als Finanzminister. Wer also alle diese Jobs, der Finanzminister in der hochverschuldeten Hauptstadt sollte schon ein 16Stunden-Job sein, ordentlich erledigt, muss ein Genie sein.

    Der Wahnsinn(ige)

    Die Wortwahl Sarrazins und der manische Versuch die Menschen mathematisch zu beschreiben und damit einer gesellschaftlichen Verwertung bzw. ewig dem Abfall zuzuführen, würde einen „Normalbürger“ wohl schon die Einweisung in berühmte Mühle einbrocken.
    Doch Sarrazin ist sicher noch nicht am Ende seines Gedankenweges. Er war zur Zeit der Wiedervereinigung Leiter desjenigen Referats im Finanzministerium, das die deutsche Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vorbereitete. Sicher hat er als Zahlenfetischist noch ein unendlich großes Archiv über die ehemalige DDR aufbewahrt, dass seiner Auswertung harrt. Wenn Sarrazin konsequent seine Gedanken weiterspinnt, was sind 3,5 Muslime gegen
    17 Mio. ehem. DDR-Bürger? Die Schuldskala an der Verelendung des deutschen Kleinbürgers wäre aus seiner Sicht, aufsteigend: Hartz IV (West)-> Muslim-> ehemalige DDR-Bürger-> Hartz IV (Ost). Oder Thilos Spaß an der Aufhetzung der sozial Schwachen gegeneinander.
    Mehr zur Krankheit auch hier:
    http://www.spiegelfechter.com/wordpress/4005/morbus-sarrazin#more-4005
    Zitat:„… Wer je geglaubt hat, das Volk der Richter und Henker hätte aus seiner Vergangenheit etwas gelernt, sollte sich schleunigst einem Realitätscheck unterziehen. …“

    Das Ablenkungsmanöver

    Die Bundesregierung plant massive soziale Kürzungen. Was könnte ihr besser zupass kommen, als die Ablenkung der Betroffenen durch die aktuelle Diskussion:
    http://www.tagesspiegel.de/politik/was-im-sparpaket-drinsteckt/1854382.html

    So viel bis hier!
    Folgende Themen wären in diesem Zusammenhang noch Interessant:
    – Gauck und Sarrazin zwei Megalomanen!
    – Die beschädigte Karriere von Wowereit und Weber?
    – Wer schreibt das erste Buch über das Phänomen „Sarrazin“?
    – Die politischen Populisten unter Führung des von und zu „Puttenzwerg“
    – Warum ist der Beifall für Sarrazin in MV, wo der Anteil der Moslems im Vergleich zu anderen Bundesländern nur in homöopathischen Dosen festzustellen ist, ähnlich groß wie im Umfeld von Duisburg-Marxloh?

Hinterlasse einen Kommentar